Medizinischer Standard und digitale Transformation im Arztstrafrecht

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Medizinischer Standard und digitale Transformation im Arztstrafrecht
Strafrechtliche Rezeption des medizinischen Standards und Auswirkungen der Implementierung neuer Technologien auf den Maßstab ärztlichen Entscheidens – Vom »klassischen Standard« zum »datenbasierten Standard«?
Schriften zum Strafrecht, Vol. 447
(2025)
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About The Author
Carla Schön studierte von 2013 bis 2018 Rechtswissenschaft an der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Die Dissertation entstand während ihrer Mitgliedschaft im Verbundforschungsprojekt »HeiAge – Assistenzsysteme und digitale Technologien zur Verbesserung der Mobilität im Alter« (gefördert von der Carl-Zeiss-Stiftung) sowie des Promotionskollegs »Digitales Recht« der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Unter der Betreuung von Prof. Dr. Jan C. Schuhr forschte und publizierte sie im Bereich der Schnittstelle zwischen (Medizin-)Strafrecht und künstlicher Intelligenz. Nach dem Rechtsreferendariat am Landgericht Heidelberg schloss sie im April 2025 ihre juristische Ausbildung erfolgreich mit dem zweiten Staatsexamen ab.Abstract
Die Arbeit nimmt sich der bis dato noch nicht umfassend beantworteten Frage an, ob der medizinische Standard als Maßstab für die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, wie er bisher zur Beurteilung ärztlicher Entscheidungen herangezogen wird, infolge der digitalen Transformation der Weiterentwicklung bedarf. Es wird untersucht, wie das Strafrecht auf den medizinischen Standard bei der Konkretisierung von Sorgfaltspflichten Bezug nimmt bzw. Bezug zu nehmen hat und die Frage beantwortet, ob sich diese algorithmisch explizieren lassen. Die Arbeit kommt zu dem Ergebnis, dass trotz Implementierung neuer Technologien, insbesondere des Einsatzes Künstlicher Intelligenz, die bisherigen rechtlichen Grundsätze auch weiterhin Geltung beanspruchen können, die Standardkonzeption jedoch an diesen Fortschritt anzupassen ist. Die Autorin sieht deshalb das Erfordernis eines erweiterten Standardverständnisses in Form des »datenbasierten Standards«, der der Notwendigkeit einer Neuausrichtung von Sorgfaltspflichten Rechnung trägt, zugleich aber stets die Bedürfnisse der Patient:innen in den Mittelpunkt stellt.»Medical Standard and Digital Transformation in Criminal Medical Law. Criminal Law Reception of the Medical Standard and the Impact of New Technologies on the Benchmark for Medical Decision-Making - From the ›Classical Standard‹ to a ›data-based standard‹?«: The thesis explores whether the medical standard, as a benchmark for the duty of care in medicine, requires further development in light of digital transformation processes, particularly the use of artificial intelligence. It concludes that while fundamental (criminal) legal principles remain in place, an adaptation of the standard concept is necessary. A ›data-based standard‹ is proposed, one that also respects and incorporates patients’ needs.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 15 | ||
Einführung | 21 | ||
A. Ziel der Untersuchung | 22 | ||
I. Fragestellung | 22 | ||
II. Relevanz der Fragestellung | 23 | ||
III. Thematische Abgrenzung | 25 | ||
B. Gang der Untersuchung | 27 | ||
Teil 1: Der „klassische Standard“ als Maßstab ärztlichen Entscheidens | 28 | ||
§ 1 Der „klassische Standard“ im Medizinrecht | 29 | ||
A. Standards im Überblick: Terminologie, Dimension und Systematisierung | 30 | ||
B. Standards im Rechtssystem | 33 | ||
I. Rechtsquellen im Überblick | 34 | ||
1. Dichotomie der Rechtsquellen und Rechtserkenntnisquellen | 34 | ||
2. Sekundäre Rechtsquellen als Zwischenkategorie | 37 | ||
II. Standards als sekundäre Rechtsquelle? | 38 | ||
III. Der medizinische Standard als sekundäre Rechtsquelle? | 41 | ||
1. Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe: Medizinischer Standard als Sorgfaltsmaßstab | 42 | ||
a) Zivilrechtlicher Maßstab als Ausgangspunkt | 43 | ||
aa) Relevanz des medizinischen Standards im Arzthaftungsrecht | 43 | ||
bb) Maßstab des Deliktsrechts: Pflichtwidrigkeit und Fahrlässigkeit | 44 | ||
cc) Zwischenergebnis | 49 | ||
b) Strafrechtliche Rezeption des medizinischen Standards | 50 | ||
aa) Herrschende Ansicht zum Fahrlässigkeitsmaßstab im Strafrecht | 51 | ||
bb) Rezeption zivilrechtlicher Maßstäbe durch das Strafrecht? | 52 | ||
(1) Frage nach der Bestimmtheit des objektiv-typisierten Standardbegriffs | 53 | ||
(2) Frage nach einem objektiv-typisierten Maßstab in der Fahrlässigkeitsdogmatik | 56 | ||
(3) Bewertung | 58 | ||
cc) Einordnung des medizinischen Standards: „Konkrete Sondernorm“ und Indizwirkung | 63 | ||
dd) Exkurs: Inhalts- und Definitionshoheit von Medizin und Recht | 67 | ||
(1) Inhaltshoheit der Medizin | 67 | ||
(2) Definitionshoheit des Rechts | 70 | ||
(3) Bedeutung des Sachverständigen für die Definitionshoheit des Rechts | 72 | ||
c) Zwischenfazit | 75 | ||
2. Weitere Verrechtlichungsgrade im Überblick | 78 | ||
a) Explizite Normbezugnahme: Das Behandlungsvertragsrecht nach §§ 630aff. BGB | 78 | ||
b) Explizite Normbezugnahme im SGB V und Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses | 81 | ||
c) Normkonkretisierende Verweisung | 85 | ||
IV. Bewertung und Fazit | 86 | ||
§ 2 Autonomie- und Kompetenzordnung | 91 | ||
A. Urteilskompetenz des Arztes: Indikation | 92 | ||
I. Begriff und Grundlagen | 93 | ||
II. Verhältnis von Indikation und Standard | 94 | ||
III. Zwischenfazit | 98 | ||
B. (Entscheidungs-)Autonomie des Patienten | 99 | ||
I. Begriff und Ausformungen der Autonomie | 100 | ||
II. Einwilligung nach Aufklärung | 101 | ||
III. Verhältnis von Indikation und Einwilligung als Ausdruck der Autonomie | 107 | ||
IV. Verhältnis von Standard und Aufklärung | 110 | ||
V. Zwischenfazit | 111 | ||
C. Therapiefreiheit: Normatives Korrektiv | 113 | ||
I. Ebenen ärztlicher Entscheidungen | 113 | ||
II. Maßstab: (Un-)Vertretbarkeit der Entscheidung | 115 | ||
III. Zwischenfazit | 117 | ||
D. Zusammenfassende Bewertung | 119 | ||
Teil 2: Wissensgenerierung und Standardermittlung – Erfahrung, evidenzbasierte Medizin und Daten | 121 | ||
§ 3 Generierung medizinischen Wissens: Erfahrung, evidenzbasierte Medizin und Daten | 123 | ||
A. Bezugspunkte medizinischen Wissens im Überblick | 123 | ||
B. Von der Erfahrung zur evidenzbasierten Medizin | 125 | ||
I. Relevanz klinischer Erfahrung | 126 | ||
II. Ärztliche Erfahrung als Ausgangspunkt | 127 | ||
III. Die Konzeption der evidenzbasierten Medizin | 131 | ||
IV. Wissensgenerierung in der evidenzbasierten Medizin | 134 | ||
V. Rangverhältnis von Evidenz und Erfahrungswissen | 137 | ||
1. Evidenzbasierte Medizin als Kombinationskonzeption | 140 | ||
2. Rangverhältnis von interner und externer Evidenz? | 141 | ||
3. Relevanz für den Standard im Strafrecht | 143 | ||
4. Zwischenfazit | 145 | ||
VI. „Verschriftlichung“ der evidenzbasierten Medizin | 147 | ||
1. Terminologische Differenzierung | 148 | ||
2. Bindungswirkung von Richt- und Leitlinien in der Medizin | 150 | ||
a) Leitlinien | 151 | ||
b) Abgrenzung zu Richtlinien | 153 | ||
3. Relevanz für den Standard im Strafrecht | 157 | ||
a) Leitlinien | 158 | ||
aa) Einzelfallvorbehalt | 159 | ||
bb) Aktualitäts- und Qualitätsvorbehalt | 160 | ||
cc) Bewertung aus strafrechtlicher Perspektive | 162 | ||
b) Richtlinien | 165 | ||
4. Zwischenfazit | 166 | ||
VII. Ergebnis | 169 | ||
C. Lückenhafte Wissensgenerierung: „Ungewissheitsmanagement“ der evidenzbasierten Medizin bei Evidenzlücken | 169 | ||
I. Gründe für Evidenzlücken | 170 | ||
II. Lösungsmodelle des Ungewissheitsmanagements | 171 | ||
1. Patientenaufklärung – Partizipative Entscheidungsfindung und Standardpluralismus | 172 | ||
a) Partizipative Entscheidungsfindung | 172 | ||
b) Standardpluralismus nach Dumbs | 174 | ||
2. Organisationsverschulden | 176 | ||
3. „Institutionenranking“ durch Ergänzung der Entscheidungsparameter | 177 | ||
4. Chancen-Risiko-Abwägung | 178 | ||
5. Annex: Strukturierter Auswahlprozess auf Basis einer Chancen-Risiko-Abwägung | 180 | ||
6. Zwischenfazit | 181 | ||
D. Fazit | 182 | ||
§ 4 Generierung medizinischen Wissens in der „datenbasierten Medizin“ | 185 | ||
A. Von der evidenz- zur „datenbasierten Medizin“ | 186 | ||
I. Datenverarbeitung in der evidenzbasierten Medizin | 187 | ||
1. Datenerfassung | 187 | ||
2. Datenauswertung | 189 | ||
a) Formelle Kriterien: Evidenzstufen | 189 | ||
b) Materielle Kriterien: Ergebnissicherheit und Effektstärke | 191 | ||
3. Zwischenfazit | 194 | ||
II. Datenverarbeitung in der datenbasierten Medizin | 195 | ||
1. Datenerfassung | 195 | ||
a) Traditionelle Datenerfassung | 195 | ||
b) New Omics und Quantified Self | 197 | ||
2. Datenauswertung | 199 | ||
a) Real-World-Evidence | 199 | ||
b) Big Data | 201 | ||
c) Zwischenergebnis: Terminologische Klarstellung | 202 | ||
III. Wissensgenerierung in der datenbasierten Medizin | 203 | ||
B. Fazit | 206 | ||
§ 5 Technische Ausgestaltung „datenbasierter Standardermittlung“ | 207 | ||
A. Terminologische Klarstellung | 208 | ||
B. Differenzierung nach technischen Kriterien und Graden der Selbstständigkeit | 209 | ||
I. Differenzierungskriterium: Entwicklungsstufe | 209 | ||
1. Agenten | 209 | ||
2. Maschinen | 210 | ||
3. Roboter | 211 | ||
4. Systeme | 215 | ||
II. Differenzierungskriterium „Intelligenzstufe“ | 216 | ||
1. Begriffsbestimmung | 216 | ||
a) Daten | 220 | ||
b) Lernfähigkeit: Maschinelles Lernen | 220 | ||
c) Menschliche Überwachung | 222 | ||
aa) Überwachtes Lernen (Supervised Learning) | 222 | ||
bb) Unüberwachtes Lernen (Unsupervised Learning) | 223 | ||
cc) Verstärktes Lernen (Reinforcement Learning) | 224 | ||
d) Künstliche neuronale Netze und Deep Learning | 225 | ||
2. Zusammenfassende terminologische Klarstellung | 227 | ||
III. Differenzierungskriterium: Autonomie | 228 | ||
1. Abgrenzung zur Automatisierung | 228 | ||
2. Autonomie | 229 | ||
a) Begriffsbestimmung | 229 | ||
b) Autonomiestufen | 232 | ||
3. Zusammenfassende terminologische Klarstellung | 234 | ||
4. Abgrenzung: KI vs. Autonome Systeme | 234 | ||
C. Fazit | 235 | ||
Teil 3: Der „datenbasierte Standard“ als Maßstab ärztlichen Entscheidens? | 236 | ||
§ 6 Der „datenbasierte Standard“ | 237 | ||
A. Terminologie | 237 | ||
B. Berücksichtigung medizinischen und technischen Fortschritts: Status quo | 240 | ||
I. Zeitliche Differenzierung | 241 | ||
II. Subjektive Differenzierung | 242 | ||
III. Zwischenergebnis | 244 | ||
C. Zur Notwendigkeit einer Neukonzeption | 245 | ||
I. Überblick und Bewertung der tradierten Vorgehensweise der Standardbildung | 246 | ||
II. Der „datenbasierte Standard“ als Neukonzeption? | 249 | ||
1. Auswirkungen auf das Element der wissenschaftlichen Erkenntnis | 249 | ||
2. Auswirkungen auf das Element der ärztlichen Erfahrung | 251 | ||
3. Auswirkung auf das Element der Akzeptanz | 253 | ||
III. Bewertung und Fazit | 254 | ||
§ 7 Strafrechtliche Relevanz eines datenbasierten Standards | 257 | ||
A. Datenbasierter Standard und ärztliches Entscheiden: Sorgfaltspflicht(-verletzung) | 258 | ||
I. Zum „Ob“ der Berücksichtigung: Ärztliches und systemisches Entscheiden im Vergleich | 259 | ||
II. Zum „Wie“ der Berücksichtigung: Reichweite ärztlicher Sorgfaltspflichten | 263 | ||
1. Bisherige Reaktion von Rechtsprechung und Gesetzgeber | 263 | ||
a) „Robodoc“-Entscheidung des BGH | 264 | ||
b) Das Digitale-Versorgung-Gesetz vom 17. Dezember 2019 | 265 | ||
2. Ansätze zur Reichweite der Wirkung eines datenbasierten Standards | 266 | ||
a) Indizwirkung des datenbasierten Standards | 266 | ||
b) Bindungswirkung des datenbasierten Standards | 267 | ||
c) Bewertung der Ansätze | 268 | ||
3. Ermittlung des ärztlichen Pflichtenprogramms | 271 | ||
a) Vertrauensgrundsatz und Delegation von Pflichtenstellungen | 272 | ||
b) (Individuelle) Vorhersehbarkeit | 275 | ||
c) Exkurs: Pflichtwidrigkeitszusammenhang und rechtmäßiges Alternativverhalten | 276 | ||
III. Zwischenfazit | 277 | ||
B. Zur Autonomie- und Kompetenzordnung | 280 | ||
I. Urteilskompetenz/„Urteilspflicht“ des Arztes | 280 | ||
II. Entscheidungsautonomie des Patienten | 283 | ||
III. Zwischenfazit | 287 | ||
C. Fazit | 287 | ||
Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesenform | 289 | ||
A. Thesen zum „klassischen Standard“ im Medizinrecht (§ 1) | 289 | ||
B. Thesen zur Autonomie- und Kompetenzordnung (§ 2) | 292 | ||
C. Thesen zur Generierung medizinischen Wissens (§ 3) | 294 | ||
D. Thesen zur Generierung medizinischen Wissens in der „datenbasierten Medizin“ (§ 4) | 297 | ||
E. Thesen zur technischen Ausgestaltung „datenbasierter Standardermittlung“ (§ 5) | 298 | ||
F. Thesen zum „datenbasierten Standard“ (§ 6) | 298 | ||
G. Thesen zur strafrechtlichen Relevanz eines datenbasierten Standards (§ 7) | 300 | ||
Schlussfazit und Ausblick | 303 | ||
Literaturverzeichnis | 306 | ||
Onlinequellen-Verzeichnis | 343 | ||
Stichwortverzeichnis | 347 |